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2023/02/15
Market Insight mit Olivier Candrian - Anleihen: Chronik eines angekündigten Comebacks

Das vergangene Jahr hinterliess bei den Anlegern einen zumindest bitteren Beigeschmack, da die Portfolios bei einem ausgewogenen Profil in Euro im Durchschnitt um 14,40 Prozent zurückgingen (1). Es war jedoch der Rückgang der Anleihen um 18 Prozent (2), der sich in den Köpfen der Anleger festsetzte, da ein Gespenst namens Inflation die Märkte wieder heimsuchte. Genau der schlimmste Feind der Anleihenmärkte. Hinzu kamen steigende Leitzinsen und nach Jahren der Geldmarktzinsen und historisch niedrigen Kupons waren alle Zutaten vorhanden, um uns das schlimmste Jahr für diese Anlageklasse seit langem zu bescheren.

 

2023: Das Jahr der Anleihen-Renaissance 
Der brutale Schock des aussergewöhnlichen inflationären Angebots, den wir im letzten Jahr erlebten, veranlasste die Zentralbanken zu heftigen Anpassungen ihrer Geldpolitik. Zwar scheint der Desinflationsprozess in den USA in Gang gekommen zu sein, doch auch die Wirtschaftsaktivität beginnt Anzeichen einer Verlangsamung zu zeigen. Trotzdem werden die Falken auch bei den nächsten Sitzungen des Federal Open Market Committee (FOMC) die Oberhand behalten. 


Früher oder später wird die Geldpolitik nachgeben, was den Anleiheinvestoren zugutekommen wird. Bereits heute ist das Risiko-Rendite-Verhältnis von Anleihen attraktiv. Die Planeten scheinen also so ausgerichtet zu sein, dass das Jahr 2023 zum Jahr der Wiederbelebung der Anleihen wird. 
Wie die Aktienmärkte haben auch die Anleihenmärkte einen starken Jahresauftakt erlebt. Trotz der jüngsten Erholung, bei der die Rendite der 1-10-jährigen US-Unternehmensanleihen von 5,33 Prozent auf 4,80 Prozent (und die des 10y US Treasury von 3,87 Prozent auf 3,40 Prozent) sank, erscheinen uns die Märkte weiterhin attraktiv, um eine "Barbell"-Positionierung zu unterstützen, die kurzfristige Investment-Grade-Unternehmensanleihen und eine Long-Positionierung in Staatsanleihen umfasst, und zwar im Hinblick auf eine Konjunkturverlangsamung und einen Anstieg der Kreditrisikoprämie. Zur Veranschaulichung: Die folgenden Renditen ergeben sich für 1-3-jährige Corporate Investment Grade in Franken, Euro und Dollar: 1,40 Prozent, 3,73 Prozent bzw. 4,87 Prozent (3). Solche Renditen wurden seit 2008 nicht mehr gesehen. Nach acht Jahren gibt es keine Anleihen mit negativen Renditen mehr (mit Ausnahme kurzer japanischer Staatsanleihen).


Wird das traditionelle 60/40-Portfolio (das von 1926 bis 2021 eine Rendite von 8,8 Prozent in Dollar erzielte), das sich seit einigen Jahren im Winterschlaf befindet, sein grosses Comeback feiern? Das hängt davon ab, wie sich die Inflation in den nächsten Quartalen entwickeln wird. Wir begnügen uns mit der Feststellung, dass ein Multi-Asset-Portfolio nun wieder Sinn macht und dass eine der Prioritäten eines normalen Anlegers darin besteht, ein ausgewogenes und widerstandsfähiges Portfolio (wieder) aufzubauen, das Erträge und Diversifizierung generiert. Was "TINA" (There Is No Alternative) betrifft, so wird sie nicht mehr auf dem grossen Investmentball tanzen.