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Genf – “Für den Fall, dass Anleihen keinen positiven Diversifikationseffekt mehr bieten, stellt sich nun die Frage, ob sie aus einem ausgewogenen Portfolio entfernt werden sollten”, sagt Marco Bonaviri, Senior Portfolio Manager bei REYL Bitte lesen Sie im Folgenden seinen Marktbericht.
Seit Jahresbeginn hat sich die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen von 2,4 auf 3,1 Prozent erhöht. Dadurch weisen diese Wertpapiere, die seit mehr als 30 Jahren als Anlage mit sehr geringem Risiko gelten, im laufenden Jahr eine Performance von Minus 4 Prozent auf. Darüber hinaus sind die Kurse von US-Staatsanleihen im ersten Quartal 2018 zusammen mit den Aktienkursen um mehr als ein Prozent gefallen. Das ist in den letzten 20 Jahren nur fünf Mal und nach fast 10 Jahren zum ersten Mal geschehen. Die Zeiträume, in denen die Aktien- und Anleihekurse gleichzeitig sanken1, haben in den Industrieländern in letzter Zeit tendenziell zugenommen. Stehen wir vor einem Paradigmenwechsel hinsichtlich der Beziehung zwischen Aktien und Anleihen, der tiefgreifende Auswirkungen auf Multi-Asset-Portfolios, die auch als «ausgewogene» Portfolios bezeichnet werden, haben könnte?
Allokationsprozess als Kerngeschäft
Die Festlegung der Asset-Allokation, des Anteils der verschiedenen Anlageklassen also, stellt für die meisten Anleger eine grosse Herausforderung dar. Dieser Allokationsprozess ist gewissermassen das Kerngeschäft der Vermögensverwalter. Ziel ist eine Diversifikation, die das Risiko des Portfolios reduziert und zu einer optimalen, risikoadjustierten Rendite führt. Die positiven Diversifikationseffekte hängen allerdings von den Beziehungen zwischen den Anlageklassen ab. Diese werden vor allem anhand des statistischen Konzepts der Korrelation gemessen, die angibt, welcher Zusammenhang zwischen zwei Variablen besteht und wie stark dieser ist. Ob der Portfoliokonstruktionsprozess zum gewünschten Erfolg führt, hängt somit stark von der Korrelation zwischen Aktien und Anleihen ab – den beiden Hauptkomponenten ausgewogener Portfolios. Der Idealfall ist eine negative Korrelation, sodass die Anleihenkomponente Aktienkursrückgänge teilweise ausgleichen und somit die Volatilität des Portfolios reduzieren kann. Der negative Beitrag von Anleihen zur Portfoliorendite in Phasen steigender Aktienkurse und fallender Anleihekurse dürfte darüber hinaus gering bleiben.
Die Korrelation [1] zwischen Aktien und Anleihen ist in den meisten Industrieländern seit mehr als 20 Jahren insgesamt negativ [2]. Multi-Asset-Anleger konnten sich auf die in Krisenzeiten entgegengesetzte Entwicklung von Aktien und Anleihen – dem Yin und Yang der Finanzmärkte – verlassen und so sowohl die Volatilität als auch das Verlustrisiko reduzieren. Durch den mehr als 30 Jahre währenden Bullenmarkt bei Anleihen konnte diese Risikominderung zudem zu vernachlässigbaren Kosten, was die Rendite betrifft, erreicht werden. Seit dem Jahr 2000 waren die positiven Effekte einer Diversifikation über Aktien und Anleihen vor allem in Zeiten der Finanzkrise (2000 bis 2002, 2007 bis 2009) spürbar, wobei die Anleiheallokation eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung des Portfolios spielte.
Korrelationen sind dynamisch
Diese über mehrere Jahrzehnte vorherrschende negative Korrelation hat dazu geführt, dass die meisten Portfoliomanager die positiven Diversifikationseffekte einer Anlage in Aktien und Anleihen praktisch als gegeben betrachteten. Sie erklärten sie vor dem Hintergrund der viel zitierten «Flucht in die Qualität» zur absoluten Wahrheit. Nach dieser fast dogmatischen Betrachtungsweise wird davon ausgegangen, dass Anleihen stets eine inverse Korrelation zu Aktien aufweisen und ihre Aufnahme ins Portfolio daher die wichtigste (und oft auch einzige) Massnahme im Rahmen des Risikomanagements sein sollte. Der für seine Verdienste auf dem Gebiet der Verhaltensökonomie mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Daniel Kahneman hat gezeigt, dass der Mensch ein natürliches Bedürfnis hat, die komplexe Wirklichkeit zu vereinfachen, was einem rationalen Entscheidungsprozess manchmal entgegensteht. Wie jedes Dogma ist diese Art des Denkens schädlich, zumal es sich bei der Finanzwissenschaft um eine Geisteswissenschaft handelt.
Die finanzielle Realität ist offensichtlich komplexer: Die Erkenntnis, dass Korrelationen dynamisch sind und sich verändern, ist für den Prozess der Portfoliokonstruktion von wesentlicher Bedeutung. Die Vielzahl wissenschaftlicher Studien zu diesem Thema hat in den Vereinigten Staaten in den letzten 90 Jahren vier unterschiedliche Korrelationsregime für Aktien und Anleihen aufgezeigt. Sie waren jeweils von besonderen makroökonomischen Bedingungen geprägt und erstreckten sich über mehrere Jahrzehnte. Seit der globalen Finanzkrise haben die massiven Interventionen der Zentralbanken, die quantitative Lockerungsprogramme auflegten, einige der wirtschaftlichen Variablen stark verändert, die die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen beeinflussen. Neuere Studien lassen darauf schliessen, dass die Inflation und deren Volatilität für die Beziehung zwischen Aktien und Anleihen von entscheidender Bedeutung sind. Einerseits wirkt sich ein Anstieg der Inflation negativ auf Nominalanleihen aus, andererseits belastet die makroökonomische Unsicherheit infolge von Inflationsschwankungen die Aktienbewertungen.
Diversifikationseffekt von Anleihen nimmt ab
Da die geldpolitischen Impulse weltweit zurückgefahren werden und der Konjunkturzyklus bereits weit fortgeschritten ist, halten wir eine Normalisierung einiger dieser wirtschaftlichen Faktoren für wahrscheinlich: allmählicher Anstieg der Inflation, höhere Volatilität der Inflation und der makroökonomischen Daten, höhere Aktienkursvolatilität und Anstieg der kurzfristigen Zinsen. Vor diesem Hintergrund ist damit zu rechnen, dass die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen steigt und der Diversifikationseffekt von Anleihen abnimmt. Angesichts der relativ niedrigen Anleiherenditen, die 2016 einen langjährigen Tiefstand erreichten und derzeit einen Aufwärtstrend aufweisen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Anleihen Verluste bei Aktien ausgleichen. Die Anlageklasse könnte die Fondsperformance sogar belasten. Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen müssten beispielsweise um 120 Basispunkte sinken (was eine Rendite von unter zwei Prozent ergeben würde), um in einem gleichgewichteten Portfolio einen Rückgang der Aktienkurse um 10 Prozent vollständig auszugleichen. In der Eurozone sieht die Situation anders aus. Dort ist die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen bereits seit mehr als drei Jahren positiv, und die Renditen sicherer Anleihen sind unattraktiv. Deshalb sind die meisten Anleger in der Anlageklasse bereits deutlich untergewichtet, die in diesem Zeitraum erfreulicherweise jedoch um mehr als drei Prozent zugelegt hat.
Alternative Diversifikationsquellen
Für den Fall, dass Anleihen keinen positiven Diversifikationseffekt mehr bieten, stellt sich nun die Frage, ob sie aus einem ausgewogenen Portfolio entfernt werden sollten. Dies gilt umso mehr, da den meisten Anlegern inzwischen andere Diversifikationsquellen und Risikomanagementmechanismen zur Verfügung stehen. Diese alternativen Diversifikationsquellen können weitere wesentliche Vorteile bieten: attraktive Bewertung, stabile geringe oder inverse Korrelation zu Aktien, Diversifikationseffekt, der bei Bedarf in Zeiten rückläufiger Aktienmärkte steigt. Zu diesen Instrumenten zählen zum Beispiel bestimmte alternative Strategien (Arbitragestrategien), bestimmte Währungspaare (Short-Position im AUD/JPY), Long-Volatilitätsstrategien und bestimmte Relative-Value-Aktienstrategien (Long-Position in defensiven Sektoren gegenüber einer Short-Position im Markt).
Die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen, die für traditionelle ausgewogene Portfolios eine zentrale Rolle spielt, ist über Konjunkturzyklen hinweg instabil. Anleger sollten nicht darauf bauen, dass ihr Aktienrisiko in Zukunft durch ein Engagement in Anleihen weiterhin abgefedert wird. Obwohl wir nicht erwarten, dass eine Rückkehr zu einer positiven Korrelation zwischen Aktien und Anleihen unmittelbar bevorsteht [4], was eine grundlegende Änderung der strategischen Asset-Allokation erfordern würde, ist es aus unserer Sicht zweifellos angebracht, sich schon jetzt nicht mehr auf die Korrelation zwischen diesen Anlageklassen zu verlassen. Wer weiterhin den klassischen Mix aus Aktien und Anleihen als Hauptquelle für Diversifikation und Risikoreduktion beibehält, setzt implizit darauf, dass die seit mehr als 20 Jahren bestehende negative Korrelation fortbesteht. Änderungen von Korrelationsregimen sind Langzeitphänomene, die jedoch mehr Schaden anrichten können als eine Zunahme der Volatilität. Multi-Asset-Anleger sollten alternative Diversifikationsquellen in Erwägung ziehen, um ein wirklich «ausgewogenes» Portfolio zu erhalten. Entscheidend ist auch, zusätzlich zur breiteren Diversifikation aktives Risikomanagement zu betreiben. (REYL/mc/ps)
[1] In diesem Artikel bezieht sich der Begriff «Anleihen» auf zehnjährige Staatsanleihen, die im Allgemeinen ein geringes Ausfallrisiko aufweisen und als Benchmark für qualitativ hochwertige Anleihen dienen.
[2] Wir messen die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen auf einer rollierenden 5-Jahres-Basis anhand monatlicher Daten.
[3] In der Eurozone ist diese Korrelation bereits seit 2015 positiv.
[4] Einer gängigen Theorie zufolge könnte ein signifikanter Anstieg des Inflationsdrucks und der makroökonomischen Volatilität zu einer positiven
Korrelation zwischen Aktien und Anleihen führen.