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Der Brexit verdrängt China aus den Schlagzeilen. Doch ein Jahr nach den Börsenturbulenzen aus Fernost bleibt die Lage verworren, vor allem bei den Wachstumszahlen. Dabei spricht der China-Aktienmarkt eine klare Sprache.
Aufgeschreckt war die Weltwirtschaft vor einem Jahr: Im Juni 2015 begann nach einem steilen Anstieg in einem offensichtlich überhitzten Aktienmarkt der Ausverkauf. Wachsende Konjunktursorgen liessen die Anleger nervös werden. Der Shanghai Composite Index fiel innerhalb eines Monats von 5166 auf 3686 Punkte, bevor er überhaupt zu einem ersten Erholungsversuch ansetzte. An den zwei anderen grossen Handelsplätzen Hongkong und Shenzhen sah die Lage ähnlich aus.
Um weltweiten Rezessionsängsten zu begegnen, begannen Regierung und Notenbank sofort mit Eingriffen, unter anderem über die Abwertung der Landeswährung Yuan und regulatorische Eingriffe in den Aktienmarkt. Einige Massnahmen verfehlten ihre Wirkung total: Der Beschluss, deutlich fallende Aktien vom Handel auszusetzen, stabilisierten die Lage nicht, sondern führten im Januar zu neuen Kursstürzen. Die Massnahme wurde schnell wieder aufgehoben.
Was ist inzwischen passiert? Die Einschätzungen zu Chinas Konjunkturentwicklung gleichen seit dem vergangenen Sommer immer ein bisschen dem Vergleich vom halbvollen und dem halbleeren Glas. Im ersten Quartal soll die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt um 6,7 Prozent gewachsen sein. Das ist zwar so wenig wie seit sieben Jahren nicht mehr, aber über der psychologisch wichtigen 6-Prozent-Hürde. Die Regierung sagte, die Lage habe sich seit Anfang Jahr stabilisiert, aber andere Stimmen warnen vor neuen Risiken.
Frühere Fehler korrigiert
Die Regierung habe sicherlich einige frühere Fehler korrigiert, sagt Daryl Liew, der als Portfolio-Manager für die Genfer Privatbank Reyl in Singapur tätig ist, im cash-Video-Interview: "Mehr staatliche Ausgaben für die Wirtschaft und gezielte Massnahmen haben dazu geführt, dass die Zahlen in den vergangenen Monaten recht robust ausfielen."
Im März hat die chinesische Regierung vor dem Volkskongress weitere Reformen angekündigt. Ein neuer Fünf-Jahres-Plan soll den Weg zu mehr Markt und weniger Staat ebnen. Positiv sei, dass die Regierung dabei das Überangebot in der Stahl- und Kohleindustrie auf die Agenda gesetzt habe, sagt Liew. Auch das Problem der Banken mit faulen Krediten werde angegangen.
Die Staatsführung habe aber auch die Tendenz, bei Reformen erst zwei Schritte vorwärts zu gehen, um dann wieder einen Schritt rückwärts zu machen. "Man kann aber immer die Frage stellen, ob noch mehr getan werden könne", sagt Liew.
Im cash-Video-Interview äussert sich Daryl Liew von der Banque Reyl auch zur Öffnung des chinesischen Aktienmarktes und zu den Auswirkungen der China-Konjunktur auf Südostasien. Er nimmt zudem eine Einschätzung zur Lage von schweizerischen und europäischen Vermögensverwaltern im asiatischen Markt vor.
https://www.cash.ch/video/22681